Geistige Behinderung: Unterschied zwischen den Versionen

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Eine '''geistige Behinderung''' kann zweierlei bedeuten. Erstens einen dauerhafen Zustand unterdurchschnittlicher Intelligenz (IQ), zweitens eine dauerhafte und profunde Störung des Denkens (inhaltlche und formale Denkstörungen). Einher geht damit in der Regel eine Einschränkung des emotionalen Verhaltens.<ref>Remschmidt, H.: Kinder- und Jugendpsychiatrie: Eine praktische Einführung. 6. Auflage, Stuttgart 2011</ref><ref>Haupt, W.; Jochheim K; Remschmidt, H.: Neurologie und Psychiatrie für Pflegeberufe. 10. Auflage, Stuttgart 2009</ref>
{{Infobox ICD
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Eine '''geistige Behinderung''' (wenn angeboren auch: ''Oligophrenie'') kann zweierlei bedeuten. Erstens einen dauerhaften Zustand unterdurchschnittlicher Intelligenz (IQ), zweitens eine chronische und profunde Störung des Denkens (inhaltlche und formale Denkstörungen). Einher geht damit in der Regel eine Einschränkung des emotionalen Verhaltens.<ref>Remschmidt, H.: Kinder- und Jugendpsychiatrie: Eine praktische Einführung. 6. Auflage, Stuttgart 2011</ref><ref>Haupt, W.; Jochheim K; Remschmidt, H.: Neurologie und Psychiatrie für Pflegeberufe. 10. Auflage, Stuttgart 2009</ref>


== Niedrige Intelligenz ==
== Ursachen ==
Die Gründe für das Auftreten einer geistigen Behinderung sind ebenso mannigfaltig wie die konkreten Auswirkungen einer geistigen Behinderung. Ebenso wie körperliche Behinderungen können Handicaps geistiger Ursache zahlreiche klinische Formen annehmen. Grundsätzlich unterscheidet man wie folgt.
 
=== Niedrige Intelligenz ===
Menschen mit einem Intelligenzquotienten von unter 70 bis 89 Punkten werden als “geistig behindert” eingestuft. In leichten Fällen spricht man auch von einer “Lernbehinderung”. Das Denken dieses Personenkreises folgt normalen Prozessen, ist in seiner Leistungsfähigkeit (Schnelligkeit, konsekutives Denken etc.) jedoch gemindert.<ref>Michael Eckhart, Urs Haeberlin et al.: Langzeitwirkungen der schulischen Integration. Eine empirische Studie zur Bedeutung von Integrationserfahrungen in der Schulzeit für die soziale und berufliche Situation, Bern (Schweiz), 2011</ref>
Menschen mit einem Intelligenzquotienten von unter 70 bis 89 Punkten werden als “geistig behindert” eingestuft. In leichten Fällen spricht man auch von einer “Lernbehinderung”. Das Denken dieses Personenkreises folgt normalen Prozessen, ist in seiner Leistungsfähigkeit (Schnelligkeit, konsekutives Denken etc.) jedoch gemindert.<ref>Michael Eckhart, Urs Haeberlin et al.: Langzeitwirkungen der schulischen Integration. Eine empirische Studie zur Bedeutung von Integrationserfahrungen in der Schulzeit für die soziale und berufliche Situation, Bern (Schweiz), 2011</ref>


== Denkstörungen ==
=== Denkstörungen ===
Geistig behindert können auch Menschen mit einem vormals oder aktuell normalen IQ (>89) sein. Dies ist dann der Fall, wenn durch Schäden am Gehirn oder durch neuropsychiatrische Erkrankungen Denkprozesse so gestört sind, dass inhaltliche oder formale Denkstörungen auftreten.<ref>Payk, T.: Psychopathologie. Vom Symptom zur Diagnose. 2. Aufl., 2007</ref>
Geistig behindert können auch Menschen mit einem vormals oder aktuell normalen IQ (>89) sein. Dies ist dann der Fall, wenn durch Schäden am Gehirn oder durch neuropsychiatrische Erkrankungen Denkprozesse so gestört sind, dass inhaltliche oder formale Denkstörungen auftreten.<ref>Payk, T.: Psychopathologie. Vom Symptom zur Diagnose. 2. Aufl., 2007</ref>


* Inhaltliche Denkstörungen, u.a.: Halluzinationen, Wahn, starke Zwangsgedanken
* Inhaltliche Denkstörungen, u. a.: Halluzinationen, Wahn, starke Zwangsgedanken
* Formale Denkstörungen, u.a.: Perseveration, Gedankendrängen, Ideenflucht, Gedankenabreißen, gesperrtes Denken, Inkohärenz, zerfahrenes Denken, etc.
* Formale Denkstörungen, u. a.: Perseveration, Gedankendrängen, Ideenflucht, Gedankenabreißen, gesperrtes Denken, Inkohärenz, zerfahrenes Denken, etc.


== Vorkommen ==
== Vorkommen ==
Eine Geistige Behinderung aufgrund einer Intelligenzminderung ist in den meisten Fällen angeboren. Durch Denkstörungen verursachte geistige Behinderungen werden dagegen meist im Laufe des Lebens erworben. Auslöser sind normalerweise hirnorganische Erkrankungen, Zustände nach Schlaganfällen, Demenzen, vaskuläre Erkrankungen (“Verkalkung”), u.a.<ref>Möller, H.-J. et al.: Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme 2005</ref>
Eine geistige Behinderung aufgrund einer Intelligenzminderung ist in den meisten Fällen angeboren. Durch Denkstörungen verursachte geistige Behinderungen werden dagegen meist im Laufe des Lebens erworben. Auslöser sind normalerweise hirnorganische Erkrankungen, Zustände nach Schlaganfällen, Demenzen, vaskuläre Erkrankungen (“Verkalkung”), u. a.<ref>Möller, H.-J. et al.: Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme 2005</ref>


==Stigma==
== Stigma ==
Geistige Behinderungen sind, anders als solche körperlicher Ursache, nach wie vor mit einer Stigmatisierung versehen. Dies betrifft vor allem Menschen mit im Laufe des Lebens erworbener geistiger Behinderung. Oft werden Behindertenausweise deswegen nicht beantragt oder die Problematik wird, auch durch das soziale Umfeld, kleingeredet oder vertuscht.<ref>Erlinger, G.: Selbstbestimmung und Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität zu Innsbruck, Februar 2004</ref>
Geistige Behinderungen sind, anders als solche körperlicher Ursache, nach wie vor mit einer Stigmatisierung versehen. Dies betrifft vor allem Menschen mit im Laufe des Lebens erworbener geistiger Behinderung. Oft werden Behindertenausweise deswegen nicht beantragt oder die Problematik wird, auch durch das soziale Umfeld, kleingeredet oder vertuscht.<ref>Erlinger, G.: Selbstbestimmung und Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität zu Innsbruck, Februar 2004</ref>


== Literatur==
== Literatur==
* Bröcher, J.: Anders unterrichten, anders Schule machen. Beiträge zur Schul- und Unterrichtsentwicklung im Förderschwerpunkt Lernen. Universitätsverlag Winter, 2007
* Joachim Bröcher: ''Anders unterrichten, anders Schule machen: Beiträge zur Schul- und Unterrichtsentwicklung im Förderschwerpunkt Lernen''. Universitätsverlag Winter, 2007, {{ISBN|978-3825383329}}
* Eberwein, H.: Lernbehinderung: Faktum oder Konstrukt? In: Zeitschrift für Heilpädagogik. 01/1997
* Hans Eberwein: ''Lernbehinderung: Faktum oder Konstrukt?'' In: Zeitschrift für Heilpädagogik. 01/1997
* Zielinski W.: Lernschwierigkeiten. Ursachen-Diagnostik-Intervention. Kohlhammer, Stuttgart 1995
* Andreas Gold: ''Lernschwierigkeiten: Ursachen, Diagnostik, Intervention''. Kohlhammer, 2011, {{ISBN|978-3170190795}}
* Ortner, A. u. R.: Handbuch Verhaltens- und Lernschwierigkeiten. 4. Auflage. Beltz, Weinheim 1997
* Werner G. Leitner, Alexanda u. Reinhold Ortner: ''Handbuch Verhaltens- und Lernschwierigkeiten''. 7. Auflage. Beltz, 2008, {{ISBN|978-3407831613}}
* Lernen fördern Bundesverband, Informationsbroschüre für Menschen mit Lernbehinderungen und ihre Angehörigen. Bände 1–3 2009, 2010, 2011
* ''Lernen fördern'' - Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Lernbehinderungen, Bände 1–7 2009-2017 <!-- http://lernen-foerdern.de/publikationen/selbsthilfebroschueren/ -->
 
== Weblinks ==
*[https://www.lebenshilfe.de/ Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. - Der Selbsthilfeverband für Menschen mit geistiger Behinderung]
*[http://bidok.uibk.ac.at/library/grill-soziogene-dipl.html bidok :: Bibliothek :: Grill - Soziogene Behinderung]
*[https://www.kindergesundheit-info.de/index.php?id=7635 Entwicklungsverzögerung und Behinderung | kindergesundheit-info.de]
*[https://web.archive.org/web/20200217192611/https://sonderpaedagoge.quibbling.de/geschichte/wiki/index.php?title=Hauptseite Geschichte der Behinderung] @ [[Wayback Machine]]
*{{Commons|Category:Intellectual_disability}}


== Quellen ==
== Quellen ==
<references/>
<references/>


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[[Kategorie:Behinderungsart]]
[[Kategorie:Sonderpädagogik]]
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Neurologie]]
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Psychiatrie]]

Aktuelle Version vom 22. Februar 2021, 06:29 Uhr

Klassifikation nach ICD-10 der WHO
F70 Leichte Intelligenzminderung (IQ 50-69)
F71 Mittelgradige Intelligenzminderung (IQ 35-49)
F72 Schwere Intelligenzminderung (IQ 20-34)
F73 Schwerste Intelligenzminderung (IQ unter 20)
F78 Andere Intelligenzminderung (Beurteilung der Intelligenzminderung besonders schwierig oder unmöglich)
F79 Nicht näher bezeichnete Intelligenzminderung (Intelligenzminderung nicht einzuordnen)
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Eine geistige Behinderung (wenn angeboren auch: Oligophrenie) kann zweierlei bedeuten. Erstens einen dauerhaften Zustand unterdurchschnittlicher Intelligenz (IQ), zweitens eine chronische und profunde Störung des Denkens (inhaltlche und formale Denkstörungen). Einher geht damit in der Regel eine Einschränkung des emotionalen Verhaltens.[1][2]

Ursachen

Die Gründe für das Auftreten einer geistigen Behinderung sind ebenso mannigfaltig wie die konkreten Auswirkungen einer geistigen Behinderung. Ebenso wie körperliche Behinderungen können Handicaps geistiger Ursache zahlreiche klinische Formen annehmen. Grundsätzlich unterscheidet man wie folgt.

Niedrige Intelligenz

Menschen mit einem Intelligenzquotienten von unter 70 bis 89 Punkten werden als “geistig behindert” eingestuft. In leichten Fällen spricht man auch von einer “Lernbehinderung”. Das Denken dieses Personenkreises folgt normalen Prozessen, ist in seiner Leistungsfähigkeit (Schnelligkeit, konsekutives Denken etc.) jedoch gemindert.[3]

Denkstörungen

Geistig behindert können auch Menschen mit einem vormals oder aktuell normalen IQ (>89) sein. Dies ist dann der Fall, wenn durch Schäden am Gehirn oder durch neuropsychiatrische Erkrankungen Denkprozesse so gestört sind, dass inhaltliche oder formale Denkstörungen auftreten.[4]

  • Inhaltliche Denkstörungen, u. a.: Halluzinationen, Wahn, starke Zwangsgedanken
  • Formale Denkstörungen, u. a.: Perseveration, Gedankendrängen, Ideenflucht, Gedankenabreißen, gesperrtes Denken, Inkohärenz, zerfahrenes Denken, etc.

Vorkommen

Eine geistige Behinderung aufgrund einer Intelligenzminderung ist in den meisten Fällen angeboren. Durch Denkstörungen verursachte geistige Behinderungen werden dagegen meist im Laufe des Lebens erworben. Auslöser sind normalerweise hirnorganische Erkrankungen, Zustände nach Schlaganfällen, Demenzen, vaskuläre Erkrankungen (“Verkalkung”), u. a.[5]

Stigma

Geistige Behinderungen sind, anders als solche körperlicher Ursache, nach wie vor mit einer Stigmatisierung versehen. Dies betrifft vor allem Menschen mit im Laufe des Lebens erworbener geistiger Behinderung. Oft werden Behindertenausweise deswegen nicht beantragt oder die Problematik wird, auch durch das soziale Umfeld, kleingeredet oder vertuscht.[6]

Literatur

  • Joachim Bröcher: Anders unterrichten, anders Schule machen: Beiträge zur Schul- und Unterrichtsentwicklung im Förderschwerpunkt Lernen. Universitätsverlag Winter, 2007, ISBN 978-3825383329
  • Hans Eberwein: Lernbehinderung: Faktum oder Konstrukt? In: Zeitschrift für Heilpädagogik. 01/1997
  • Andreas Gold: Lernschwierigkeiten: Ursachen, Diagnostik, Intervention. Kohlhammer, 2011, ISBN 978-3170190795
  • Werner G. Leitner, Alexanda u. Reinhold Ortner: Handbuch Verhaltens- und Lernschwierigkeiten. 7. Auflage. Beltz, 2008, ISBN 978-3407831613
  • Lernen fördern - Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Lernbehinderungen, Bände 1–7 2009-2017

Weblinks

Quellen

  1. Remschmidt, H.: Kinder- und Jugendpsychiatrie: Eine praktische Einführung. 6. Auflage, Stuttgart 2011
  2. Haupt, W.; Jochheim K; Remschmidt, H.: Neurologie und Psychiatrie für Pflegeberufe. 10. Auflage, Stuttgart 2009
  3. Michael Eckhart, Urs Haeberlin et al.: Langzeitwirkungen der schulischen Integration. Eine empirische Studie zur Bedeutung von Integrationserfahrungen in der Schulzeit für die soziale und berufliche Situation, Bern (Schweiz), 2011
  4. Payk, T.: Psychopathologie. Vom Symptom zur Diagnose. 2. Aufl., 2007
  5. Möller, H.-J. et al.: Psychiatrie und Psychotherapie, Thieme 2005
  6. Erlinger, G.: Selbstbestimmung und Selbstvertretung von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Diplomarbeit zur Erlangung des Magistergrades der Philosophie am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität zu Innsbruck, Februar 2004
  Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema. Er dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt nicht eine Diagnose durch einen Arzt.