Hypotransferrinämie

Aus InkluPedia
Version vom 27. Dezember 2019, 17:27 Uhr von InkluPedia.de - Frank Küster (Diskussion | Beiträge) (Sortierung)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Klassifikation nach ICD-10 der WHO
E83.8 Sonstige Störungen des Mineralstoffwechsels
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Die Hypotransferrinämie (auch partielle hereditäre Atransferrinämie[1]) ist ein angeborener oder erworbener Mangel am Eisentransporter Transferrin. Sie ist von der totalen Atransferrinämie zu unterscheiden, die durch einen kompletten Mangel des Transferrins gekennzeichnet ist und bereits im Kindesalter lebensbedrohend wird. Bei der Hypotransferrinämie handelt es sich um eine sehr seltene genetisch bedingte Erkrankung, die anders als die Atransferrinämie langsam verläuft und sich durch eine über Jahrzehnte aufbauende Schädigung bestimmter Organe durch ungebundenes Eisen (NTBI iron) symptomatisch darstellen kann.

Pathomechanismus

Die Eisenaufnahme in der Nahrung und der systemische Eisenverkehr werden durch Hepcidin, ein aus der Leber stammendes Peptidhormon, streng kontrolliert. Hepcidin hemmt den Eiseneintrag in das Plasma, indem es den Eisenexporteur Ferroportin in Zielzellen wie duodenale Enterozyten und Gewebe-Makrophagen bindet und inaktiviert. Hepcidin wird als Reaktion auf erhöhte Eisenspeicher des Körpers induziert, um die weitere Eisenaufnahme zu hemmen und eine Eisenüberlastung zu verhindern. Der Mechanismus beinhaltet den BMP/SMAD-Signalweg, der die transkriptionelle Hepcidininduktion auslöst. Inaktivierende Mutationen in Komponenten dieses Weges verursachen Hepcidinmangel, der eine unangemessen erhöhte Eisenaufnahme und -ausfluss in den Blutkreislauf ermöglicht.

Dies führt unter anderem zu einer Störung des Eisenstoffwechsels, die durch einen allmählichen Aufbau von ungeschütztem, nicht-transferringebundenem Eisen (NTBI iron) im Plasma und eine übermäßige Eisenablagerung in parenchymalen Gewebezellen gekennzeichnet ist. Die vorherrschende Form ist mit Mutationen im HFE-Gen verbunden. Hämochromatose, Aceruloplasminämie und Atransferrinämie sind weitere erbliche Störungen der Eisenüberlastung, die durch einen Mangel an Ceruloplasmin oder Transferrin, der Plasmaferroxidase bzw. dem Eisenträger verursacht werden können.[2]

Typisch für die hereditäre (erbliche) Form der Hypotransferrinämie ist ein Nichtansprechen der körpereigenen Transferrinproduktion infolge der Aufnahme von Eisen aus der Nahrung oder Supplementierung. Letztere ist relativ häufig, wenn aufgrund relativ niedriger Ferritinwerte ein vermeintlicher Eisenmangel angenommen und durch eine künstliche Eisenzufuhr behandelt wird, wodurch die Folgen des Transferrinmangels eskalieren können.[3][4][5]

Symptome

Anders als die unmittelbar lebensbedrohliche Atransferrinämie verläuft die Hypotransferrinämie schleichend. Durch in

  • Leber
  • Nieren
  • Herz
  • Milz
  • Testikeln
  • Gehirn
  • Haut
  • und anderen Organen

eingelagertes ungebundenes Eisen zeigen diese Organe, je nach Ausmaß des Transferrinmangels und der nutritiven (oder anderweitigen) Eisenzufuhr, unspezifische Funktionsstörungen. Besonders häufig sind manifeste Strukturschäden an Gehirn, Herz und Leber. Diese werden meist nicht als Folge der Hypotransferrinämie erkannt und entsprechend spät und/oder unsachgemäß behandelt.[6][7][8]

Therapie

Die Behandlung der Hypotransferrinämie hat verschiedene Stadien zugrundezulegen. Generell ist die Hypotransferrinämie nur indirekt therapierbar bzw. deren potenziellen Folgen durch Früherkennung zu reduzieren.[9]

Verhinderung von Organschäden

Durch ein frühzeitiges Erkennen von Organschäden durch eine Kontrolle des Transferrinwertes und der Sättigung (TF-Sat) kann durch diätische Maßnahmen gefördert werden, dass die Eisenbindungskapazität des Körpers nicht überlastet wird, wodurch NTBI iron im Blut und schließlich in den Geweben verhindert werden kann. Transferrinsättigungswerte >50% haben als suspekt zu gelten, ab rund 60% kann von einer abklärungsbedürftigen Anomalie ausgegangen werden. Da in der Alltagspraxis meist nur das Ferritin erhoben wird und ungebundenes Eisen sich in der Anfärbung von histologischen Präparaten (z.B. mit “Berliner Blau”) nicht darstellt, wird die Störung in aller Regel übersehen. Einzig bei bereits anderweitig erkrankten Patienten, wird diesem Thema im Klinikalltag Beachtung geschenkt[10]

Nach dem Eintritt von Organschäden

Sind durch eine unerkannt - und damit unbehandelt - gebliebene hereditäre oder auf Dauer erworbene Hypotransferrinämie bereits oxidationsbedingte (ROS) Organschäden eingetreten, so sind diese bleibender Natur, vor allem an Herz und Gehirn. Grund ist ein Niedergang der entsprechenden Gewebe. Hier kann eine Behandlung im eigentlichen Sinne nur symptomatisch erfolgen, wobei jedoch durch strikte diätische Vorgaben darauf zu achten ist, dass keine weitere Akkumulation von ungebundenem Eisen in den betroffenen Zellen mehr stattfindet. Da der Körper auch im Falle einer Hypotransferrinämie Eisen zur Blutbildung benötigt, ist hier eine stetig kontrollierte Zufuhr bis nahe der Grenze der Transportfähigkeit durch endogen produzierte Eisentransporter oft angezeigt. Grundsätzlich sind bereits manifeste Organschäden bleibend, kaum behandelbar und daher möglichst zu verhindern.[11][12] Eine Entfernung des freien Eisens aus dem Körper ist, anders als im Falle der Hämochromatose weder möglich noch nützlich oder gar harmlos, besonders im Falle von Herz- und Hirnschäden durch ungebundenes NTBI iron.[13]

Weblinks

Multimedia

Quellen

  1. Monogen bedingte Erbkrankheiten 1 herausgegeben von Detlev Ganten und Klaus Ruckpaul, Springer-Verlag, 2013, Seite 459
  2. Pantopoulos K (2018) Inherited Disorders of Iron Overload. Front. Nutr. 5:103. doi: 10.3389/fnut.2018.00103
  3. Knutson, MD: Non-transferrin-bound iron transporters. Free Radic Biol Med. 2018 Oct 12. pii: S0891-5849(18)32176-2. doi: 10.1016/j.freeradbiomed.2018.10.413.
  4. Marie-Pascale Beaumont-Epinette, Jean-Bernard Delobel, Martine Ropert, Yves Deugnier, Olivier Loréal, et al.. Hereditary hypotransferrinemia can lead to elevated transferrin saturation and, when associated to HFE or HAMP mutations, to iron overload. Blood Cells, Molecules and Diseases, Elsevier, 2015, 54 (2), pp.151-154. 10.1016/j.bcmd.2014.11.020.
  5. Jorge P. Pinto1, João Arezes1, Vera Dias1, et al: Physiological implications of NTBI uptake by T lymphocytes. Front. Pharmacol., 26 February 2014 | https://doi.org/10.3389/fphar.2014.00024
  6. Dinesh Chandra1! Bhavna Dhingra, Tulika Seth1 et al.: Congenital Hypotransferrinemia, an Unusual Cause of Iron Deficiency Anemia: Report of Two Cases. Indian J Hematol Blood Transfus (July-Sept 2017) 33(3):402–404 DOI 10.1007/s12288-016-0746-z
  7. Mc Carthy et al.: Inflammation-induced iron transport and metabolism by brain microglia. J Biol Chem. 2018 May 18;293(20):7853-7863. doi: 10.1074/jbc.RA118.001949. Epub 2018 Apr 2.
  8. Büyükaşık NŞ, Büyükaşık Y.: Chronic liver diseases and iron: a concise review with emphasis on hypotransferrinemia and hypohepcidinemia. Turk J Med Sci. 2016 Nov 17;46(5):1281-1291. doi: 10.3906/sag-1508-107.
  9. Nishida, Yuzo: The chemical mechanism of oxidative stress due to the non-transferrin-bound iron (NTBI). Advances in Bioscience and Biotechnology, 2012, 3, 1076-1086 ABB http://dx.doi.org/10.4236/abb.2012.327131 Published Online November 2012
  10. tBoshuizen, van der Ploeg, von Bonsdorff, et al.: Therapeutic use of transferrin to modulate anemia and conditions of iron toxicity. Blood Rev. 2017 Nov;31(6):400-405. doi: 10.1016/j.blre.2017.07.005. Epub 2017 Jul 24.
  11. Barry, Michael: Liver iron concentration, stainable iron, and total body iron storage. In: Gut. 1974, 15, 411-415.
  12. Cabantchik, Zvi I.: Labile iron in cells and body fluids: physiology, pathology, and pharmacology. Front. Pharmacol., 13 March 2014 | https://doi.org/10.3389/fphar.2014.00045
  13. A. Klucken, H. Jaskolka: Neurodegeneration mit Eisenablagerung im Gehirn Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation (NBIA). Patientenorientierte Krankheitsbeschreibung aus dem ACHSE Netzwerk, 05/2017
  Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema. Er dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt nicht eine Diagnose durch einen Arzt.