H63D-Syndrom
Klassifikation nach ICD-10 der WHO | ||
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E83.1 | Störungen des Eisenstoffwechsels | |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Beim H63D-Syndrom (auch: Oslo Syndrom[1]) handelt es sich um einen gesonderten Phänotyp (Krankheitsbild) einer homozygoten Mutation des HFE-Gens H63D, das ansonsten dafür bekannt ist allenfalls eine leichte klassische Hämochromatose zu verursachen. HFE steht für high Fe, also zu viel Eisen.[2] Das H63D-Syndrom geht zwar ebenfalls mit einer Eisenüberladung des Körpers einher (vor allem im Gehirn, am Herzen, der Leber, der Haut und den männlichen Keimdrüsen), allerdings in Form von nicht an Transferrin und Ferritin gebundenem freien Eisen (non-transferrin bound iron, kurz: NTBI). Weitere, der klassischen Hämochromatose ähnliche Symptome sind ebenfalls möglich.[3][4][5][6][7]
Symptome und Unterschied zur Hämochromatose
Beide Erkrankungen, die klassische Hämochromatose wie auch das H63D-Syndrom, führen zu einer Überladung des menschlichen Organismus mit Eisen. Der kardinale Unterschied zwischen beiden Störungen des Eisenstoffwechsels ist die Art des Eisens und seine Wirkung auf die Organe. Während es bei einer Hämochromatose zu einer Überladung mit Ferritin (Eisen, das an ein Protein gebunden ist) kommt, schädigt im Rahmen des H63D-Syndroms freies Eisen (NTBI) - meist infolge einer Hypotransferrinämie - Zellen in Hirn, Herz, Leber, Haut und bei Männern die Hoden. NTBI besitzt die Fähigkeit, in bestimmte Zellen und Kalziumkanäle einzudringen. In den Zellen führt es zu Oxidationsprozessen, welche die betroffenen Zellen schädigen oder absterben lassen. Im fortgeschrittenen Stadium finden sich daher beim H63D-Syndrom unter anderem Hirnschäden (vor allem in der Substantia nigra und in den Basalganglien), Herzmuskelschäden bzw. Überleitungsstörungen (z. B. Blockbilder im Elektrokardiogramm (EKG)) und variable Dysfunktionen der Leber. Die Haut zeigt eine Hyperreagibilität, Urologen finden bei betroffenen Männern leicht atrophische Hoden.[8][9][10][11][12][13][14][15][16][17][18][19][20][21][22][23][24]
Zusammenfassung der Hauptmerkmale und Leitsymptome:[25]
- Hypotransferrinämie
- Chronisch erhöhte Transferrinsättigung > 45% (meist > 55%, mehrmalige Testungen sind aufgrund nutritiv bedingter Schwankungen obligat)
- Ablagerung von NTBI Eisen in Gehirn und Parenchymgewebe
- Langsam progressive Degeneration der Substantia nigra und der Basalganglien
- Denkstörungen (oft hochgradig und meist primär obsessiver Natur, vereinbar mit Dysfunktionen der Basalganglien), cave: Fehldiagnose als “seelisches Leiden” mit der Konsequenz der Verzögerung einer korrekten Diagnose ist in der Frühphase praktisch immer der Fall
- Tic-Störungen (variabel, oft Tourette-ähnlich, teils inkl. Gefahr der Selbstverletzung)
- REM-Schlaf-Störungen mit Gefahr der Selbstverletzung
- Variable motorische Störungen (im späten Verlauf ggf. auch Parkinson-Symptome)
- Dementielle Syndrome verschiedener Schweregrade (von leichten kognitiven Einschränkungen bis zum dementiellen Vollbild, seitens des Symptombildes am ehesten vereinbar mit einer Levy-Body-Demenz)
- Posturale Instabilität (idem zur Parkinson-Erkrankung)
- Narkolepsie, oft mit Kataplexie (bei bereits erfolgter Manifestation eines degenerativen Hirnschadens)
- Herzschäden und Herzfunktionsstörungen (vor allem Überleitungsdefekte und Arrhythmien)
- Leberschäden (schon im frühen Verlauf oft eine unerklärliche Leberverfettung)
- Überschießende Reaktionen des inerten Teils des Immunsystems mit nicht vorhersehbaren Autoimmunreaktionen
- Gestörte Bewegungsabläufe im Verdauungssystem (partielle Paralyse, ähnlich zum Parkinsonsyndrom)
- Geringgradige bis mäßige Schrumpfung des Hodengewebes bei männlichen Patienten mit degenerativen Anzeichen in der Sonographie)
- Hautsymptome variabler Art (inklusive Impetigo, Juckreiz, Hyperreagibilität etc.)
- Selten: Nierenbeteiligung, Augenerkrankungen durch NTBI induzierte oxidative Prozesse, Schwerhörigkeit usw.
Diagnostik
Das H63D-Syndrom, als einer von mehreren Phänotypen einer homozygoten Mutation des HFE-Genes H63D, wird über mittels der Zusammenschau von Klinik (Symptomen) und Laborwerten diagnostiziert. Als “Faustformel” gilt:
+ Zeichen einer Hirndysfunktion
+ Herzleiden
+ Auffälligkeiten an der Leber
(+ milde Hodenatrophie)
+ Transferrinsättigung >50% (vor allem bei Hypotransferrinämie und parallel oft niedrigem Ferritin)
– andere Erkrankungsursachen
= Verdacht auf H63D-Syndrom
Die Bestätigung erfolgt humangenetisch durch die Testung der HFE-Gene auf homozygote Mutationen.[26][27]
Behandlung
Anders als Ferritin oder an andere Proteine gebundenes Eisen, kann freies NTBI-Eisen nicht aus dem Körper entfernt werden. Die klassischen Hämochromatosebehandlungen mittels Aderlass etc. sind beim H63D-Syndrom wirkungslos bis schädlich, da sie dem Körper des Patienten das “gute” und lebensnotwendige Ferritin entziehen während das toxische NTBI im Organismus verbleibt.[28] Einzig eine frühzeitige Diagnose mit anschließender ärztlich kontrollierter eisenarmer Diät kann den Verlauf der Erkrankung im Einzelfall ggf. verlangsamen. Insbesondere sind normale Werte der Transferrinsättigung anzustreben, da NTBI im Normalfall erst bei Transferrinsättigungsgraden von gut über 50% im menschlichen Körper entsteht. Die üblichen Hämochromatosebehandlungen können für H63D-Syndrom Patienten daher sogar nachhaltig gefährlich sein, da das lebenswichtige Ferritin bei diesem Syndrom normal niedrig ist und nur dieses bei den Hämochromatosebehandlungen aus dem Körper entfernt wird.[29] Entsprechend erfolgt die Behandlung weitestgehend symptombezogen mit Arzneistoffen oder Hilfsmitteln. Das H63D-Syndrom gilt, Stand Juli des Jahres 2020, weiterhin als unheilbar.
Weiterführende Informationen
- Sørensen, Sven; Berg, Thomas; Papadopoulos, Anastastios et al.: H63D Syndrome. Consensus Paper of the International H63D Research Consortium, 1. Auflage. Oslo, Sankt Petersburg, Norderstedt 2020. ASIN: B0842VQ1G8 (Englisch)
- Weiterer gut belegter Lexikonartikel (Deutsch).
Quellen
- ↑ International H63D Syndrome Research Consortium, LCG Greece Research, Jewish University of Colorado, Dr. Marianne Kaufmann Association for H63D Patients, Luzia Healthcare n.e.V, Adams, Jacob, & Diamandis, Carolina. (2022). H63D Syndrome renamed Oslo Syndrome (6.2). Zenodo. doi.org/10.5281/zenodo.6565132
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