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Tió de Nadal: Unterschied zwischen den Versionen

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Für diese Tradition gibt es auch den Namen '''Cagatió''' [{{IPA|ˌkaɣətiˈo}}],<ref name=":9">Siehe entsprechende Einträge im [https://ca.wiktionary.org/wiki/cagati%C3%B3 katalanisch-] und [https://de.wiktionary.org/wiki/cagati%C3%B3 deutschsprachigen Wiktionary].</ref> der sich direkt auf das Fest der Bescherung bezieht, bei dem ''El Tió'', Geschenke herausrücken oder eben derber „scheißen“ soll (katalanisch: „cagar“, deutsch: „scheißen“, familiär auch etwas „herausspucken“, etwas „rausrücken“ wiedergegeben werden). Hier wird das für deutschsprachige Leser etwas derb wirkende oben bereits erwähnte Kinder- und Bescherungslied ausschnittsweise in katalanischer Sprache aufgegriffen. Es existieren zahlreiche Strophen und Varianten.
Für diese Tradition gibt es auch den Namen '''Cagatió''' [{{IPA|ˌkaɣətiˈo}}],<ref name=":9">Siehe entsprechende Einträge im [https://ca.wiktionary.org/wiki/cagati%C3%B3 katalanisch-] und [https://de.wiktionary.org/wiki/cagati%C3%B3 deutschsprachigen Wiktionary].</ref> der sich direkt auf das Fest der Bescherung bezieht, bei dem ''El Tió'', Geschenke herausrücken oder eben derber „scheißen“ soll (katalanisch: „cagar“, deutsch: „scheißen“, familiär auch etwas „herausspucken“, etwas „rausrücken“ wiedergegeben werden). Hier wird das für deutschsprachige Leser etwas derb wirkende oben bereits erwähnte Kinder- und Bescherungslied ausschnittsweise in katalanischer Sprache aufgegriffen. Es existieren zahlreiche Strophen und Varianten.
== Die Geschichte des Tió de Nadal ==
Nicht aus dem okzitanisch-katalanisch-aragonesisch stammende Verbreitungsgebiet stammende Bürger anderer Nationalitäten tuen sich schwer mit dem Verständnis des Weihnachtsbrauchtums um El Tió de Nadal. Auch kritische Katalanen sehen die Brüche und Unebenheiten in diesem Brauchtum. Was sollen beispielsweise kleine Kinder empfinden, die in der Vorweihnachtszeit liebevoll El Tio warm halten und ihn abends mit Futter versorgen, um ihn schließlich am Heiligen Abend mit Stöcken dazu zu bewegen, Geschenke auszuspucken? Die Personaltrainerin Sophia Blasco i Castell macht darauf aufmerksam, dass zum Verständnis der genannten Unebenheiten und einer eventuell passenderen aktuellen Ausgestaltung der Ursprung und die geschichtliche Entwicklung dieser Tradition betrachtet werden muss.<ref name=":10">Siehe hierzu: Sophia Blasco i Castell: El Tió de Nadal i la violència. In: jornal.cat (19. Dezember 2010).</ref>
''El Tió'' repräsentiert eine ländliche, alte, vorchristliche Tradition, die ursprünglich eng mit der Natur, der Fruchtbarkeit und den Festen zur Wintersonnenwende verbunden war. Um die Wintersonnenwende herum wurde an der Feuerstelle uralter Bauernhäuser ein besonders großes Stück Holz entzündet. Dieses Holz spendete die benötigte Wärme und das benötigte Licht in der langen Winternacht. Das im ursprünglichen Brauchtum nachgewiesene „Schlagen“, das Schlagen von Wärme aus dem großen brennenden Scheit, diente dem Wiedererwachen der in Kälte erstarrten Natur. Es diente als Vorbote des Heraufziehens der wärmeren Jahreszeiten.<ref name=":11">Abschnitt nach: 3CAT: D’on ve la tradició de fer cagar el tió? (23.12.2023).</ref>
Die emeritierte Anthropologin Josefina Roma i Riu der Universität Barcelona sieht das in Frage stehende Brauchtum insgesamt in einen Ahnenkult dieser bäuerlichen Bevölkerung eingebettet. Die Erwachsenen kommunizieren über das Medium des Rauches im Schornstein mit ihren Vorfahren. Gleichzeitig werden am Feuer Leckereien für die Kinder zubereitet. Generell werden in dieser Zeremonie gute Wünsche sowie Schutz (gegen Blitze, Ungeziefer und Krankheiten) und Fruchtbarkeit der Familie beschworen. Die aus dem Feuer zurückgebliebene Asche wurde anschließend auf den Feldern verstreut. Im diesem gesamten ursprünglichen Brauchtum manifestiert sich eine tiefe Verbundenheit der Beteiligten mit ihrer Familie, den Vor- und Nachfahren, und mit der Natur.<ref name=":11" />
Dieser ursprüngliche Ahnenkult wurde im aufkommenden Christentum in ein Kinderfest umgeformt. Die älteste Person im Haus leitete die Zeremonie und segnete zunächst das große brennende Holzscheit mit Wein. Das brennende Holzscheit war ursprünglich in keiner Weise bemalt oder dekoriert. Vor der Bescherung mit dem Schlagen auf das brennende Holzscheit gingen die Kinder mit einem Erwachsenen in einen anderen Raum, um dort ein Vaterunser vor der Bescherung zu beten. Diese Bescherungstradition blieb eng an das bäuerliche, brennende Holzscheit und das Hausfeuer gebunden.<ref name=":11" />
Mit der aufkommenden Säkularisierung und Modernisierung der Wohnstätten veränderte sich das Brauchtum deutlich. Zunächst tränkten die Kinder die Stöcke, mit denen sie El Tió, das zuvor liebevoll behandelte Holzscheit, jetzt zur Herausgabe von Süßigkeiten und Geschenken zwangen. Genau an dieser Stelle sieht die oben bereits genannt Personaltrainerin Sophia Blasko Anpassungsbedarf an der Tradition, in der solche Momente von Gewalt zurückgenommen werden müssen. Das aufkommen moderner Wohnstätten entfernte die Tradition zudem von ihrem klassischen Ort, dem bäuerlichen Hausfeuer. In diesem Zuge wurde El Tió mit einem Gesicht und einer katalanischen Bauernmütze versehen oder schlichtweg vermenschlicht und schließlich auch als käufliche Ware teilweise verkitscht.<ref name=":11" />
Es gibt zunehmend mehr Menschen wie Sophia Blasko, die für eine Weiterentwicklung dieser uralten, wertvollen Traditionen in Richtung auf das Einssein mit der Natur und das Einssein mit seinen Mitmenschen eintreten, also für die Motivationen des vor- und auch des frühchristlichen Brauches.


:Caga Tió!
:Caga Tió!
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Die Kinder singen zur Bescherung dieses vielstrophige Lied, tanzen um ''Tió'', drohen ihm dabei im Rhythmus der Musik mit kleinen Stöcken oder versetzen leichte Stockschläge auf die die Geschenke verbergende und Tió ummantelnde Decke. Nach Absingen des Liedes zieht der Familienvater die Decke weg und die kleinen und großen Kinder nehmen ihre Geschenke in Empfang.
Die Kinder singen zur Bescherung dieses vielstrophige Lied, tanzen um ''Tió'', drohen ihm dabei im Rhythmus der Musik mit kleinen Stöcken oder versetzen leichte Stockschläge auf die die Geschenke verbergende und Tió ummantelnde Decke. Nach Absingen des Liedes zieht der Familienvater die Decke weg und die kleinen und großen Kinder nehmen ihre Geschenke in Empfang.
== Die Geschichte des Tió de Nadal ==
Nicht aus dem okzitanisch-katalanisch-aragonesisch stammende Verbreitungsgebiet stammende Bürger anderer Nationalitäten tuen sich schwer mit dem Verständnis des Weihnachtsbrauchtums um El Tió de Nadal. Auch kritische Katalanen sehen die Brüche und Unebenheiten in diesem Brauchtum. Was sollen beispielsweise kleine Kinder empfinden, die in der Vorweihnachtszeit liebevoll El Tio warm halten und ihn abends mit Futter versorgen, um ihn schließlich am Heiligen Abend mit Stöcken dazu zu bewegen, Geschenke auszuspucken? Die Personaltrainerin Sophia Blasco i Castell macht darauf aufmerksam, dass zum Verständnis der genannten Unebenheiten und einer eventuell passenderen aktuellen Ausgestaltung der Ursprung und die geschichtliche Entwicklung dieser Tradition betrachtet werden muss.<ref name=":10">Siehe hierzu: Sophia Blasco i Castell: El Tió de Nadal i la violència. In: jornal.cat (19. Dezember 2010).</ref>
''El Tió'' repräsentiert eine ländliche, alte, vorchristliche Tradition, die ursprünglich eng mit der Natur, der Fruchtbarkeit und den Festen zur Wintersonnenwende verbunden war. Um die Wintersonnenwende herum wurde an der Feuerstelle uralter Bauernhäuser ein besonders großes Stück Holz entzündet. Dieses Holz spendete die benötigte Wärme und das benötigte Licht in der langen Winternacht. Das im ursprünglichen Brauchtum nachgewiesene „Schlagen“, das Schlagen von Wärme aus dem großen brennenden Scheit, diente dem Wiedererwachen der in Kälte erstarrten Natur. Es diente als Vorbote des Heraufziehens der wärmeren Jahreszeiten.<ref name=":11">Abschnitt nach: 3CAT: D’on ve la tradició de fer cagar el tió? (23.12.2023).</ref>
Die emeritierte Anthropologin Josefina Roma i Riu der Universität Barcelona sieht das in Frage stehende Brauchtum insgesamt in einen Ahnenkult dieser bäuerlichen Bevölkerung eingebettet. Die Erwachsenen kommunizieren über das Medium des Rauches im Schornstein mit ihren Vorfahren. Gleichzeitig werden am Feuer Leckereien für die Kinder zubereitet. Generell werden in dieser Zeremonie gute Wünsche sowie Schutz (gegen Blitze, Ungeziefer und Krankheiten) und Fruchtbarkeit der Familie beschworen. Die aus dem Feuer zurückgebliebene Asche wurde anschließend auf den Feldern verstreut. Im diesem gesamten ursprünglichen Brauchtum manifestiert sich eine tiefe Verbundenheit der Beteiligten mit ihrer Familie, den Vor- und Nachfahren, und mit der Natur.<ref name=":11" />
Dieser ursprüngliche Ahnenkult wurde im aufkommenden Christentum in ein Kinderfest umgeformt. Die älteste Person im Haus leitete die Zeremonie und segnete zunächst das große brennende Holzscheit mit Wein. Das brennende Holzscheit war ursprünglich in keiner Weise bemalt oder dekoriert. Vor der Bescherung mit dem Schlagen auf das brennende Holzscheit gingen die Kinder mit einem Erwachsenen in einen anderen Raum, um dort ein Vaterunser vor der Bescherung zu beten. Diese Bescherungstradition blieb eng an das bäuerliche, brennende Holzscheit und das Hausfeuer gebunden.<ref name=":11" />
Mit der aufkommenden Säkularisierung und Modernisierung der Wohnstätten veränderte sich das Brauchtum deutlich. Zunächst tränkten die Kinder die Stöcke, mit denen sie El Tió, das zuvor liebevoll behandelte Holzscheit, jetzt zur Herausgabe von Süßigkeiten und Geschenken zwangen. Genau an dieser Stelle sieht die oben bereits genannt Personaltrainerin Sophia Blasko Anpassungsbedarf an der Tradition, in der solche Momente von Gewalt zurückgenommen werden müssen. Das aufkommen moderner Wohnstätten entfernte die Tradition zudem von ihrem klassischen Ort, dem bäuerlichen Hausfeuer. In diesem Zuge wurde El Tió mit einem Gesicht und einer katalanischen Bauernmütze versehen oder schlichtweg vermenschlicht und schließlich auch als käufliche Ware teilweise verkitscht.<ref name=":11" />
Es gibt zunehmend mehr Menschen wie Sophia Blasko, die für eine Weiterentwicklung dieser uralten, wertvollen Traditionen in Richtung auf das Einssein mit der Natur und das Einssein mit seinen Mitmenschen eintreten, also für die Motivationen des vor- und auch des frühchristlichen Brauches.


== Literatur ==
== Literatur ==
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